Distanzlosigkeiten

Speziell der Frühling ist für mich ja immer eine recht sensible Zeit. Zum einen habe ich diesen in meinem (very own) Leben historisch gewachsenen Erlebnis- und Erlebensdruck („Mist, es ist schönes Wetter, dann mal schnell raus, was erleben und so. Weiß zwar nicht immer was, aber egal“), der dann zum anderen häufig, wie bereits berichtet, mit den anders gearteten Interessen und Verhaltensweisen meiner lieben Mitmenschen kollidiert. Erst kürzlich bin ich weit in die Wildnis geflüchtet, in der Hoffnung auf etwas Ruhe. Und ja, die hatte ich auch, bis nach ca. einer Stunde erneut das Ungemach inform von näherkommenden Kinderstimmen heranrollte. Und WIEDER hatte ich diese Erkenntnis: du kannst nicht gewinnen. Wenns dich stört, mußte halt gehen. Oder du bist milde lächelnd dankbar für die geschenkte Stunde der Ruhe.

Wie außerordentlich (um nicht zu sagen: erschreckend) wenig Fingerspitzengefühl Menschen besitzen können, habe ich bereits vor einigen Jahren an einem ganz eklatanten Beispiel beobachtet: ich saß in einem Park auf einer recht abgeschiedenen Bank und aß etwas, das ich mir unterwegs gezogen hatte. Die Bank stand unmittelbar vor einer räumlich sehr schmalen Aussichtsbrüstung. Wenn Leute kämen, um die Aussicht zu betrachten, säßen sie mit einem Schritt rückwärts fast auf meinem Schoß. Etwas ungünstig gelöst, aber ok. Ich rechnete erstmal nicht mit hohem Andrang. Hm. Ja. Und das Leben so: „Ist ja alles ganz schön, was du da sagst. Aber ich hab da schon mal was anderes vorbereitet“.

Und so:

Einige Zeit verging, als sich plötzlich zwei junge Leute näherten, ein Männlein und ein Weiblein, keine Ahnung, irgendwas zwischen 18 und Anfang 20. Kamen laut palavernd daher und schafften es tatsächlich, sich direkt mir gegenüber an die Brüstung zu stellen und weiterzupalavern. Wir standen uns quasi direkt vis-a-vis, mit unter einem Meter Luft dazwischen. Mir war das zum einen aufgrund der beengten räumlichen Situation total unangenehm, zum anderen wegen des Gesprächsinhaltes, den ich gezwungenermaßen mitbekam, zumal sie nicht besonders leise sprachen. In einem plötzlichen Anflug von Optimismus dachte ich mir, dass es ihnen vermutlich auch nicht sehr angenehm sein würde, ihre Beziehungskisten vor den Ohren Dritter auszudiskutieren. Vielleicht hatten sies aber auch nur auf die Bank abgesehen und wollten mich unbewußt wegätzen. Keine Ahnung. Jedenfalls dachte ich, ok, ruhig bleiben. Die sind bestimmt gleich wieder weg. Nachdem meine Hoffnung aber (wie in den meisten Fällen) jäh enttäuscht wurde und ich wieder einmal feststellen durfte, wie schmerzfrei andere Menschen sein können, fragte ich sie nach ca. 5-10 Minuten, ob sie etwas dagegen hätten, dass ich hier in Ruhe weiteressen möchte und dass hier vielleicht nicht der richtige Ort für solche Gespräche wäre, da sie mir fast auf dem Schoß säßen. Der ehrlich überraschten Reaktion zufolge haben die das tatsächlich davor kein bißchen gecheckt. Sie nickten dann nur halb abwesend und zogen tatsächlich ohne einen Brumm weiter, ich hatte wieder meine Ruhe und wunderte mich noch eine Zeitlang über dieses Verhalten. Wohlgemerkt: wunderte.

Ein anderes Mal ein ähnliches Spiel. Wieder in einem Park, saß ich mit meiner Begleitung auf einer Mauer und unterhielt mich. Die Mauer war sehr lang, das Gelände sehr weitläufig. Außer uns war kaum jemand zu sehen. Plötzlich näherte sich uns ein Typ, der lautstark telefonierte. Er kam schnurstracks auf uns zu, stellte sich wirklich so ziemlich  direkt neben meine Begleitung und telefonierte weiter. Lautstark. Wir rückten erst ein Stück ab, er rückte nach. Wir verstanden unser eigenes Wort nicht. Irgendwann wurde es meiner Begleitung zu blöd und bat den Telefonierenden, doch bitte ein Stück abzurücken. Dieser reagierte total angepisst. beschwerte sich dann bei seinem Telefonpartner sofort darüber, dass man ja nirgends mehr in Ruhe telefonieren könne (!). Trotzdem verpisste er sich dann, weil er mit solchen „Idioten“ wie uns scheinbar nix zu tun haben wollte.

True story. Keine versteckte Kamera.

In abgemilderter Form erlebe ich ähnliche Phänomene fast täglich:

Kaum sitzt man irgendwo, setzt sich jemand dazu. Egal wo. Hast du Glück, mit etwas Abstand, hast du Pech, direkt neben dich. Und wenn du besonders viel Glück hast, schmeißt derjenige sich dann auch gleich eine Kippe in den Hals für noch mehr Spass am Leben. Frische Luft wird sowieso überbewertet. Dieselskandal, Feinstaub…worüber reden wir also?! (Vielleicht kennt jemand auch ein ähnliches Beispiel vom jährlichen Handtuch-auf-Liegen-Schmeiß-Contest in einschlägigen Ferienorten.)

Stehst du vor einem Schaufenster, steht meistens (nicht immer) relativ schnell jemand neben dir. Ich wollte das immer mal auf die Spitze treiben, indem ich vor einem leeren Schaufenster „Bor, guck mal, wie geil!!!!“ schreien wollte. Bisher wurde ich nur immer davon abgehalten. Aber irgendwann mach ich das nochmal. Einfach, weil ichs kann.

Total leerer Parkplatz. Irgendwelche vier, fünf Autos verstreut auf gefühlten 800000000 Hektar. Du parkst dein Auto, kommst irgendwann wieder. Immer noch leerer Parkplatz, irgendwelche drei bis vier Autos verstreut auf gefühlten 1000000000000 Hektar – äh, nein, nicht ganz. Denn direkt neben dir steht ein Vollarschloch so eng, dass du kaum einsteigen kannst.

Kürzlich in einem – erneut recht leeren – Restaurant…. In zwei, drei Ecken verstreut sitzen Gäste. Dann kommt ein älteres Ehepaar hinein und bekommt vom Kellner einen Platz in der hinteren Ecke des Restaurants zugewiesen, in der noch keiner sitzt. Fünf Minuten später kommen die Leute zurück und sagen, sie wollen nicht alleine sitzen, sie suchen sich lieber einen Tisch in der Nähe von Leuten, die relativ weit vorne saßen.

Ja. Ich weiß. Wissenschaftlich ist das alles erklärbar. Spiegelneuronen und so. Und das unbewußte Bedürfnis, sich mit seinesgleichen zusammenzurotten. Weil man sich da sicherer fühlt. Und der Mensch doch ein Herdentier ist. Relikte aus der Urzeit und so. Genauso wie das Fleischfressen. Irgendwas scheint bei mir falsch gepolt zu sein, denn bei mir ist weder das eine, noch das andere Bedürfnis stark ausgeprägt. Nähe ja, aber dediziert. Es reicht mir das Wissen um irgendwelche Menschen, die im Umkreis von mehreren Quadratkilometern um mich herum leben, die meine Sprache sprechen und die ich im Bedarfsfall kontaktieren könnte. Aber ansonsten muß ich mich niemandem auf den Schoß setzen und brauche schon gar nicht sowas wie …. Nachbarn. Überhaupt.. Nachbarn. Das ist eigentlich schon ein Thema für sich.

In den späten 1980er bis in die 90er Jahre hinein liefen ja diverse Serien, die Nachbarschaftverhältnisse durchaus euphemi- bis idealisierten. Lindenstraße, Tool-Time (von Wilson hat man wenigstens immer nur den Hut gesehen), Melrose Place, allem voran aber dieses schlimmste Format von allen: „Neighbours“. Noch immer kann ich dank meiner Mutter (Hardcore-Neigbours-Watcherin) das schreckliche Titellied zum Teil auswendig. Für immer in meine Gehinwindungen eingebrannt:

„Kommst du nach Haus,

gleich Tür an Tür,

Sind nette Nachbarn da, fast ein Stück von dir…“

Wenn ich nach Hause komme, empfangen mich in den meisten Fällen kreischende Kinder und gröhlende Bauarbeiter. Aber das kann ja prinzipiell auch nett sein. Mit der ausreichenden Menge Diazepam oder Alkohol. Oder am besten beidem gleichzeitig.

„Kommst du nach Haus,

gleich Zaun an Zauuun,

sind assige Nachbarn da

Zeit, ihnen gleich aufs Maul zu hauuun

Komm schlag gleich rein

wart nicht zu lang

so können Nachbarn auch

gute Scapegoats seiiin“.

 

In diesem Sinne: schöne Feiertage!